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Das Wörterbuch

in der Geisterbahn

Q.V. bis Rutenstreiche

mit zeitgeistnahen Illustrationen

April 2011

 

quäker Als Boswell Samuel Johnson erzählte, er habe auf einer Zusammenkunft der Quäker eine Frau predigen hören, bekam er von diesem folgende Antwort. „Sir, wenn eine Frau predigt, das ist, als ob eine Hund auf den Hinterbeinen läuft. Es geht nicht gut, aber man ist überrascht, dass es überhaupt geht.“

randzonen „Randgebiete“; „an den Rändern der Zivilisation“. Schon das früheste Altertum hatte das Glück und die Güte hauptsächlich an den Rändern der Welt gesucht — weil man deren Mitte zu genau kannte.

raserei Die Kehrseite der Langeweile (Camus)

rationalismus Nichts, als das unbedingt Notwendige — alles glatt und sauber wie ein neuer Sarg.

rationalität Wenn uns nicht die Angst vor den himmlischen Erscheinungen quälte und vor dem Tode, als einer vielleicht doch für uns bedeutungsvollen Sache, sowie weiter der Umstand, dass wir die Grenzen des Schmerzes und der Begierden nicht kennen, dann bedürfen wir keiner so genannten „Vernunftstwissenschaft“.

reisen (1) „Die Hauptschwierigkeit besteht darin, die Vororte zu überwinden.“ (André Gide) — „Nicht weiter, Freund! Man kann auch hier verfaulen.“ (Lear 5.2) (2) „Im Grunde besteht das spezifische Vergnügen einer Reise nicht darin, die Landstraßen entlangzufahren und anzuhalten, wenn man müde ist, sondern den Gegensatz von Abreise und Ankunft statt möglichst unmerklich so einschneidend wie irgend tunlich zu machen, ihn in seiner Ganzheit zu erfassen, wie wir ihn, noch ganz intakt, in unsern Gedanken trugen, als unsere Einbildungskraft uns von jenem Ort, an dem wir lebten, bis ins Herz jener ersehnten Stätte in einem gewaltigen Schwunge trug, der uns wunderbar nicht deshalb schien, weil er eine Entfernung durchmaß, sondern gerade weil er zwei deutlich unterschiedene Ortsindividualitäten der Erde miteinander in Verbindung brachte, uns von einem Namen zu einem andern führte, einen Gegensatz, den uns gerade das geheimnisvolle Weben an jenen besonderen Orten, den Bahnhöfen, die nicht eigentlich einen Teil der Stadt bilden, sondern ihre Wesen nur noch insofern enthalten, als sie auf einer Signaltafel ihren Namen tragen, in reiner, schematischer Form zum Bewusstsein bringt.“ (Marcel Proust) (3) Bis er die Sitten & Gebräuche gründlich unter die Lupe genommen hat, sollte der Reisende die Einwohner eines fremden Landes, in dem er länger als 1 Woche bleiben will, wie ausgefallene und womöglich giftige Insekten behandeln. (4) Damit beginnt das Thema der sozialen Umwälzungen gegen die Macht. (5) Das Nomadenleben, welches die unterste Stufe der Zivilisation bezeichnet, findet sich auf der höchsten im allgemein gewordenen Touristenleben wieder ein. Das erste ist von der Not — das zweite dagegen von der Langeweile herbeigeführt. (6) Die wesentlichen Merksätze zum Thema Reisen lauten: Reisen bildet!… Andre Länder, andre Sitten! … Wer viel herum kommt, sieht seine Heimat mit anderen Augen! Etc. — „Und wir sahen den Rauch des Kyklopenlandes und hörten ihre murmelnde Stimm’ und die Stimme der Ziegen und Schafe …“ (Odyssee IX. 166f.) Der weitere Verlauf dieser Reisebeschreibung ist vermutlich den meisten Lesern bekannt. (7) Es braucht wahrlich mehr Formalitäten, die Reise mit der Eisenbahn als die Reise ins Unendliche anzutreten. (8) Hat einen Bedeutungswandel in den vergangenen 4-500 Jahren erfahren, der einzig noch in der Sprache des modernen Tourismus zu(er)ahnen ist. Denken wir an die Anfänge des „Massentourismus“ in jenes ferne Land der Indianer, welche bekanntlich ihre Bezeichnung einem Irrtum des „Reiseveranstalters“ … verdanken. „Gesehen und sofort erschossen“ — so lässt sich die Einstellung des „Reisenden“ damaliger Zeiten gegenüber den vorgefundenen Einheimischen auf eine kurze zynische Formel bringen. Trotzdem hätte man kaum sagen können, dass irgendein Europäer irgendeinen dieser Indianer mehr als gesehen hätte. Gesehen und sofort erschossen! — Dass überhaupt von diesem Volk etwas bekannt geworden ist, scheint merkwürdig genug. Womit wir bei der Form des Massentourismus angelangt wären, die so charakteristisch für die Moderne ist. Hier sei nur die typische, wenn auch unverschleierte Variante erwähnt: der so genannte „Prostitutionstourismus“ nach Thailand. Auch das Wort „schießen“ findet man leicht wieder in der Sprache des Kameratouristen. (9) Man soll sich nicht an der Grenze umwenden, wenn man verreist. (Pythagoras) (10) Mit der Revolution der Techniken für die unmittelbare Übertragung erleben wir gegenwärtig die Anfänge einer „allgemeinen Ankunft“, bei der alles ankommt, ohne dass es notwendig wäre, wegzugehen. Der Niedergang der Reise (dh. des Raum- und Zeitintervalls) im 19. Jahrhundert wird zum Ende des 20. Jahrhunderts von der Eliminierung der Abfahrt begleitet, so dass der Strecke zugunsten der Ankunft diejenigen Komponente verloren gehen, die sie überhaupt erst ausmachten.

 

36 Seiten Text plus 2 Illustrationen

- Sammlerausgabe -

 


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