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Das Wörterbuch

in der

Geisterbahn

W.W.W. bis Zwiesprache

mit zeitgeistnahen Illustrationen

Dezember 2011

 

Mit dem Erscheinen dieses Heftes liegt das WÖRTERBUCH DES DIAGONALDENKENS wieder vollständig vor.

 

w. w. w. Was wäre wenn … Alles in meinem Leben, selbst jenes, von ferne als Existenzbedrohung erscheinende, hat sich letztendlich immer zu meinen Gunsten entwickelt, oftmals sogar gegen alle Logik, so, als wäre mir vorher bestimmt, nicht zu scheitern, und jedes Leiden nur eine Prüfung, ob ich wohl auch zukünftig berechtigt sei, der Segnungen des Schicksals teilhaftig zu werden. — Was aber wäre gewesen, wenn ich meine Existenz auch nur um Haaresbreite verfehlt hätte, und somit meine Biographie — per Zufall — nicht hätte in Anspruch nehmen können? Nur einmal verschlafen, und das Leben würde ohne mich weitergehen, während ich fortan ohne Biographie, oder als „blinder Passagier“ in fremden Biographien den Lebensozean zu überqueren hätte … was wäre wenn?

Wahrnehmung (1) Begriff, der alles und nichts bedeuten kann, wobei das Letztere die häufigste Verwendungsform darstellt. Wir kennen dank einer gut durchwachsenden und allgemein verbreiteten ½-bildung mittlerweile eine Art „Ästhetik der Wahrnehmung“. Hat man erst einmal den Gebrauch des Begriffs „Wahrnehmung“ als Füllwort akzeptiert, ist der Rest einfach: alles ist Wahrnehmung,  heißt die nichtöffentliche Maxime. Sehen ebenso wie hören, natürlich aber auch warten, essen, schlafen, reisen, dösen, geboren werden … sterben  — lesen in Wörterbüchern. (2) Le grands hommes de plume savent faire de la couleur avec un habit noir, une cravate blanche, et un  fond gris, sagt Flaubert sinngemäß in einem hübschen Artikel über den Wahn der Wahrnehmung. Die großen Schriftsteller verstanden es, Farbigkeit mit einem schwarzen Gewand, einer weißen Krawatte und einem grauen Hintergrund zu erzeugen. (3) „Das ruhige Atmen des Meeres.“ (4) Das Schweigen der Einsamkeit.

Wandergruppe „Und der Herr zog ihnen voran, dass er sie den rechten Weg führte; und des Nachts in einer Feuersäule, dass er ihnen leuchtete, zu reisen Tag und Nacht.“ (2.M. 13.21)

wandern (1) „Alle Namen wanderten.“ (2) „Wir wandern bloß so herum.“ (Terence McKenna) (3) Wie 1 Landbriefträger.

Wandtäfelung „Und die Sonne, die durch die Vorhänge schien, warf 1 blondes Licht auf die Wandtäfelung.“

warten (1) „… jegliche Minute / war je und je Geleiter in den Tod.“ (Sophokles) (2) „I see that I am to wait for what will be exhibited by death.“ (3) „Im ganzen Weltlos sind tausend Jahr ein Tag. Wir müssen geduldig an diesem Unternehmen, der Vernunft, arbeiten und warten.“ (Kant) (4) „Was schert’s mich, ob mein Werk heute gelesen werde oder erst von der Nachwelt. Wohl kann ich mir leisten, ein Jahrhundert lang auf Leser zu warten, wo doch Gott selbst sechstausend Jahre auf einen Beobachter gewartet hat.“ (Kepler) (5) El-intisár eschedd anen, heißt es (in der Transkription) bei den Arabern. Warten ist schlimmer als Feuer. (6) Frage an einen Reisenden, der zwischen seinen Koffern an der Bahnsteigkante eines stillgelegten Bahnhofs steht: „Worauf warten Sie hier derart fatalistisch?“ Antwort: „Auf Gott!“ — Ich denke, er meinte Godot. (7) Nur Raucher können beispielsweise den ganzen Tag im Café sitzen und warten. (8) Wenn man wartet, leidet man so sehr unter der Abwesenheit dessen, was man sich herbeiwünscht, dass man keine andere Gegenwart erträgt.

Wasser (1) Das Wasser, das ja ohnehin in jedem Baum dasteht, wie eine gefesselte Fontäne … (2) Der Mensch ist eines der ganz wenigen Haustiere — vergleiche das Schwein — die, wenn sie an Wasserscheu erkranken, ungenießbar sind. (3) Gilt weithin als machthaltige Substanz, die Leben und Fruchtbarkeit spendet. Besonders mit fließendem Wasser verbindet sich die Vorstellung der Sündenreinigung. In polytheistischen Religionen gilt das Wasser oft als Machtbereich einer besonderen Gottheit, oder es wird als Aufenthaltsort von Geistwesen angesehen. Nach dem AT (Jer. 17, 13) ist Jahwe „die Quell lebendigen Wassers“ (Zit. „Denn, Herr, du bist die Hoffnung Israels. Alle, die dich verlassen, müssen zu Schanden werden, und die Abtrünnigen müssen in die Erde geschrieben werden; denn sie verlassen den Herrn, die Quelle des lebendigen Wassers.“) Die Bedeutung des Wassers kommt auch darin zum Ausdruck, dass es öfters als Urstoff des Kosmos angesehen wird. „Leitungswasser“ ist totes Wasser. Einzig Quell-, Brunnen-, Fluss-, See- und Regenwasser sind lebendiges Wasser. „Leitungswasser“ ist wie Dosengemüse, Feinfrostpommesfrites, Backobst, etc. (4) Kann, sofern es nicht missbraucht wird, zur absoluten Überlegenheit verhelfen.

Wechselbäder ä Idealismus.

Yahoo Erstaunlich menschenähnliche Spezies, welche im 4. Buch der Reisen Gullivers ausführlich beschrieben wird. Swift nennt sie nicht nur widerlich stinkend, sondern bezeichnet sie auch als die ungelehrigsten aller Tiere, denen obendrein noch ein verstockter und störrischer Charakter eigen ist. „Sie sind listig, verräterisch, boshaft und rachsüchtig“, schreibt er, um sogleich hinzuzufügen, dass sie ebenso „stark und kräftig, aber zugleich auch feig und folglich unverschämt, niederträchtig und grausam“ sind.

yeti sagenhaftes, dh. nicht auffindbares Geschöpf, vergleichbar jenem „Ungeheuer von Loch Ness“ oder dem „universalgebildeten Leser“, von welchem Flaubert spricht.

zivilcourage Ähnlich dem Charme — entweder man hat’s oder man hat’s nicht. Lässt sich nicht endgültig erklären; wem man ‘s erklären muss, der versteht ‘s ohnehin nicht. „Was verstanden wurde, ist verloren“, sagt der Dichter. Wird im Übrigen ohnehin, ob des phonetischen Gleichklangs, von den meisten Deutschen für eine Art „privater Rinderoffenstall“ gehalten (= … Kuh(ga)rage!)

zivilisation (1) Aas im letzten Zustand der Fäulnis. (2) Tritt in der öffentlichen Sprache kaum noch ohne Begleitung auf, hauptsächlich in Gesellschaft von „Fortschritt“ („Zivilisation & Fortschritt“); letztendlich nichts anderes, als ein Orinoko von Jauche, in dem der zivilisierte Mensch unterzugehen glaubt. (3) Zuallererst eine Worthülse, welche 4 is enthält. — Ezra Pound nannte sie 1920 bereits „eine alte Sau mit Zahnfäule“. (Wie würde er sie erst heute nennen? Nach weiteren „modernen Kriegen“ und einer „zivilisierten“ Welt, die sich fest im Würgegriff eines skrupellosen Gangstersyndikats befindet, mit Ideologien, die nicht mehr Sinn haben, als die unterschiedlichen Trikots von Fußballmannschaften —?)

zUKUNFT (1) Die letzte Hoffnung des Hoffnungslosen (2) der Starke bedarf ihrer nicht, der Schwache wird sie nie erreichen (3) Kranken, Sterbenden, Frauen und Kindern dient die Illusion einer Zukunft in der sie Ruhe finden werden als Trost in einer ewigen Gegenwart, die sie mitschleift (4) Spitzbuben reden sich auf sie heraus (5) der Starke lebt im Jetzt, der Feigling vertröstet sich auf die Zukunft. (6) VOR DIESEM AUGENBLICK / der gleich der vorige war / umschlingst Du mich / mit Haut & Haar // Vor jenem Wort / noch ungesagt / Das eben schon / das letzte ist // Vor jenem Blick / bevor Du mich vergisst / bedenke rasch / dass kein Zurück // Wer Zukunft sagt / meint Horizont / unerreichbar / nie gekonnt. (7) Wer eine Zukunft braucht, ist erpressbar.

40 Seiten Text plus 2 Illustrationen

- Sammlerausgabe -

 


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