Willkommen auf der Homepage von Frank-Wolf Matthies

Ivan Blatný

Hilfsschule Bixley

II

Gedichte

Dezember 2014

212 Seiten * 11 Bilder von Lutz Leibner * Veröffentlicht im Dezember 2014

Kein Exemplar mehr vorhanden.

Modell

Die junge Witwe trug totschicke schwarze Nylons

Eigentlich sollten wir alle Trauer tragen

Doch wer hat schon die Beine danach


Ich bin ja schon anders als die meisten

Was aber sollen erst diese Frauen sagen

die weder heiraten noch Kinder haben

Die gehen ziemlich einsam über den Laufsteg des Lebens

 

 

Body-Group

Die Vögelchen schlagen mit den Flügeln wie Ventilatoren

Sie ordnen ihre Federn


Was aber wird mit den Briefen

Wenn wir alle Federn gelassen haben

Oder die Beine der Hunde gefedert sind

 

 

Signal

Sechs Belobigungen braucht es wenigstens zu einem Orden

Imposant wie der Vollmond


Ich war noch grün hinter den Ohren

Als ich einstens ins Claybury Hospital kam


Doch ich kapierte die Regel

Man pfeift bis sich jemand umdreht

 

 

Morgenfrühe

Vinyl-Schwarze Täler südlich von Moravě

Am Friedhof vorbei geht’s nach Süden

... Nach dem Wecken will ich mir von Fred den Segen holen

Sich dort niederlassen wie ein Kohlenbaron

Ausbreiten wie das Moos im Wald

Auf welchem man das Frühstück drapiert

... Mein Senderwähler sucht Radio 2

... Dort rezitieren gleich Götter & Göttinnen Gedichte.

 

 

Pein muss sein. Doch ohne Sorgen.

Keine Ahnung. Was wird morgen?


Schreiben, schreiben. Moldaufluss

Neckt die Schiffer voll Genuss.


Auf der Matte Faulheit naschen.

Doch schon früh am Morgen waschen.


Wichtig ist sei keine Memme.

Weltfremd schon, doch kein Geflenne.

 

 

 

 


 

 


Ivan Blatný

Am 21.12.1919 in Brünn geboren. In einer künstlerisch sehr aufgeschlossenen Familie aufgewachsen. Im Kindesalter mit den Eltern Reisen in ganz Europa. 1930 wird beim Vater Tbc festgestellt, woran dieser stirbt. 3 Jahre später stirbt die Mutter an Hepatitis. Der zutiefst verstörte, nach innen gekehrte Ivan Blatný wächst bei den Großeltern auf, schreibt Gedichte. 1939 übernimmt er vom Großvater dessen Optikergeschäft. Wendet sich für die kommenden 6 Jahre hauptsächlich der Poesie, der Myopie, dem Astigmatismus zu.

Ivan Blatný war eng mit dem Dichter Jiři Orten befreundet. Am 30. August 1941: dem 22. Geburtstag von Jiři Orten, verlässt dieser seine Wohnung, um Zigaretten zu kaufen … wird von einem Krankenwagen der deutschen Wehrmacht angefahren, lebensgefährlich verletzt, doch liegengelassen, da Jude, daraufhin von einem Freund in ein Krankenhaus gebracht. Dort wird Orten abgewiesen, da Jude. Er wurde zu einem anderen Krankenhaus gebracht, wachte aber nicht mehr auf und starb zwei Tage später.

Das Leben unter der Herrschaft der Nazis führte bei Blatný zu „einem ersten Anfall“ und dem Aufenthalt in einem Krankenhaus.
1946 Eintritt in die Kommunistische Partei. Im März 1948, als in der Tschechoslowakei die „Revolution“ der Kommunisten stattfand, war Blatný zufällig in einer Delegation tschechischer Schriftsteller in London. Er verließ diese Delegation, verließ die kommunistische Partei, verließ den tschechischen Schriftstellerverband. Am selben Tag nutzte er einen bereits geplanten Gesprächstermin bei der BBC zu einer Verurteilung der neuen Machthaber. Deren Reaktion: Hass. Blatný wurde als Verräter bezeichnet. Später sogar für tot erklärt. Über ihn zu sprechen war strafbar. Sein Eigentum in Brno wurde beschlagnahmt. Záviš Kalandra wurde 1950 als „Trotzkist“ zum Tode verurteilt und hingerichtet, weil er „mit Exilautoren wie Blatný, Hostovský (welcher ihn noch ob seiner Flucht öffentlich verurteilte – bevor er selbst in den Westen floh), Čep… Kontakt unterhalten hat“. Die Diktatur ist generell ein finsteres Kapitel, dies sollte bedacht werden in diesen Zeiten der eitlen deutschen Selbstbeweihräucherung.

Die nächsten Monate lebte er in England stets in Angst vor den tschechischen Behörden. Immer wieder Krankenhausaufenthalte. Sporadische Arbeiten für BBC und Radio Free Europa. Lernt Spanisch und Italienisch. Schreibt.
1954 wird er von einem Engländer in das Krankenhaus Claybury gebracht. Blatný hatte bereits einige Monate auf dem Boden über dessen Wohnung campiert. Feststellung des Aufnahmearztes: Schlechter Allgemeinzustand, 35 – wirkt jedoch erheblich älter, unterernährt, körperlich u. physisch in schlechter Verfassung, eingewachsener Zehennagel lässt B. obendrein hinken. Heimweh, menschenscheu. Spricht Esperanto, Deutsch, Italienisch, Spanisch und natürlich Tschechisch.

Obwohl in den nächsten sechs Jahren von ihm hauptsächlich das Englische gesprochen wurde, beherrscht er diese Sprache nie fließend.

1948 Friern-Barnet, später im selben Jahr Claybury.
Die nächsten 36 Jahre in der Psychiatrie – Claybury, neben anderen Krankenhäusern in Essex, Ostengland.

15jähriges Schweigen, das bis in die späten 60er Jahre andauert. Fürchtet überall KGB-Spione, bei den Nachbarn, in den Emigrantenkreisen. Die Öffnung der Staatssicherheitsarchive nach dem Zusammenbruch belegte die Berechtigung dieser Furcht. Blatný (Codename UTZ) sollte aus dem Heim gelockt und in die Tschechoslowakei entführt werden. Der Versuch scheiterte. Blatný wurde daraufhin als „in Wahrheit verrückt“ eingeschätzt – und in Ruhe gelassen. Die nächsten 11 Jahre ruhiges Leben in Claybury. Im Februar 1969 besuchte ihn sein Vetter Dr. Jan Smarda heimlich innerhalb einer wissenschaftlichen Reise. Im Juni desselben Jahres Vladimír Bařina, ein mit ihm bekannter Lehrer aus seiner Heimatstadt. Bařina bewundert Blatný, bringt Neuigkeiten, Grüße und Gedichte von Klement Bochorak. Blatný beginnt wieder zu schreiben. In den kommenden 8 Jahren kontinuierlich, sowohl auf Tschechisch als auch auf Englisch. Er tut seine Manuskripte in einen Karton, den er „wie seinen Augapfel behütet“. Dennoch kann dieser von dem Personal, welches seine Arbeiten für „das Gekritzel eines Verrückten“ ansieht, gestohlen und weggeworfen werden.

1977 wurde Blatný nach St. Clement in Ipswich verlegt. Hier arbeitet die Krankenschwester Frances Meacham, welche später auch mit einem Freund, mit dem sie bei der RAF im Gesundheitswesen gedient hat, Brno besucht. Bařina und Smarda bitten sie, sich um Blatný zu kümmern. Damit beginnt eine außergewöhnliche Beziehung zwischen der Krankenschwester und dem Dichter, die bis zu dessen Tod 1990 anhält. Frances Meacham ermutigt Blatný. Sie gab mit der Unterstützung von Josef Skvorecky 1979 einen Gedichtband in Toronto heraus. Welcher dann 1982 dann in der ČSSR im Samisdat erschien. HILSSCHULE BIXLEY konnte Blatný nicht mehr selbst herausgeben.

Am 5. August 1990 stirbt Ivan Blatný im Colchester General Hospital.

Einäscherung. Seine Asche wurde nach Brno überführt und im Rahmen einer offiziellen Zeremonie auf dem Zentralfriedhof an der Seite seines Vaters bestattet.
Am 28. Oktober 1997 verkündet der Dichter und Staatspräsident Vaclav Havel die Schaffung der Za zasluhy Medaille für Verdienste um das Werk von Ivan Blatný – „für außerordentliche schöpferische Leistungen“.
(Diese Notizen wurden aus dem ersten Auswahlband übernommen und leicht bearbeitet.  Sie wurden nach bestem Wissen erstellt, dh. Fehler sind nicht auszuschließen.)

Rechte

Es existiert eine sehr schöne und vollständige tschechische Ausgabe: Ivan Blatný Pomocná škola Bixley, 1979, 1987, 2011; 407 Seiten. Sie ist zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, lieferbar. Diesem Band wurden die tschechischen Originale, welche dieser Auswahl zugrunde liegen, entnommen. Die Anmerkungen  wurden als brauchbar empfunden, allerdings beziehen sie sich hauptsächlich auf Schreibvarianten und auf lokale Besonderheiten, den tschechischen Leser vor Augen, so dass die Anmerkungen zu dieser Auswahl von mir aus meiner Bibliothek, sowie externen Quellen, zumeist tschechischen, aber auch englischen und französischen  geschöpft und ins Deutsche gebracht werden mussten. Überhaupt sind in der tschechischen Heimat von Ivan Blatný inzwischen wieder viele seiner Bücher in schöner Ausstattung zu erwerben … Es erschien eine erste Ausgabe im Exilverlag in Toronto, 1987. Eine zweite Ausgabe im tschechischen Samisdat. Universitätsbibliotheken können jemandem, der dort Zugang hat, sehr von Nutzen sein.
Die Rechte im juristischen Sinne scheinen sich bei verschiedenen Personen und Verlagen zu befinden. Da diese Übertragungen nicht für den Verkauf oder sonst eine Form der Veröffentlichung, die den privaten Kreis verlässt, gedacht sind, wurde dem von mir nicht weiter nachgegangen.

Impressum

Einzige Auflage.
Die Gedichtauswahl wurde der tschechischen Ausgabe Pomoncá škola Bixley (Prag 2011) entnommen, siehe dazu Rechte. Zu Hilfe genommen wurden in der Hauptsache die Wörterbücher: Muret-Sanders Encyklopädisches  Englisch-Deutsches und Deutsch-Englisches Wörterbuch, Berlin 1900, sowie Tschechisch-deutsches Wörterbuch der Umgangssprache von Adalbert Hulík, Prag 1936. Außerdem wurde manchmal das Tschechisch-Deutsche Wörterbuch, Hrsg. Dr. Hugo Siebenschein, Prag 1968, zurate gezogen. Nicht zu vergessen das Internet, welches erstaunliche Hilfe leistet bei der Suche nach Orten, nebst Plänen dieser Orte, dazu von der Umgebung, dazu Fotografien, dazu manchmal Mitteilungen, die Geschichte dieser Orte betreffend.
Die Rechte auch für diese Übertragung, welche nicht für den Verkauf gedacht ist, besitzt ausschließlich der Nachdichter. Die Rechte der Bilder besitzt Lutz Leibner.
Herausgegeben von Lutz Leibner, dem auch das Ganze als Buch zu verdanken ist.
Gefertigt von der Firma AusDruck Schaare & Schaare Berlin.
   Dezember 2014

 


 www.frankwolfmatthies.de